Brünnhilde ist am Ende allein: Die Schlussszene in "Götterdämmerung". Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

„Götterdämmerung“ – eine deutsche Geschichte

Brünnhilde ist am Ende allein: Die Schlussszene in "Götterdämmerung". Foto: Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele

Sehr konkret wird in der „Götterdämmerung“ die deutsche Geschichte abgehandelt. Dem kann Dr. Sven Friedrich als Regie-Experte einiges Positives abgewinnen. Denn: „Wir haben uns ja daran gewöhnt, die DDR als eine Art historische Episode abzuhandeln.“ Dabei sei vieles auf der Strecke geblieben:  „Wenn man sich heute im Mauermuseum umschaut, könnte man fast zu dem Eindruck gelangen, die DDR sei so eine Art putziger Operettenstaat gewesen. Und ganz so war es ja eben nicht.“ Obwohl selbst Wessi, „weiß ich, dass sehr viele Ostdeutsche genau darunter leiden, dass im Prinzip diese Geschichte eine unabgegoltene ist. Mit dem Einigungsvertrag wurde der Westen ein Stück rübergezogen nach Osten. Und damit war der Osten plötzlich Westen“, erklärt Friedrich. Die Geschichte sei abgeschnitten worden, nicht durch einen Krieg, sondern durch Integration. „Man konnte sich als Wessi fühlen, war’s aber nicht. Und daraus resultieren diese Verwerfungen, die uns bis heute begleiten“, erklärt er. Genau hier steht man also bei der „Götterdämmerung“ mit ihrer Frage nach Identität und Bewusstwerdung.

„Wer bin ich eigentlich?“, fragt sich der Siegfried nach dem Vergessenstrank. Hagen wird als Voodoo-Priester gezeigt; die drei Nornen sind Voodoo-Priesterinnen, die das Schicksal beeinflussen. Eine Szene auf der Drehbühne spielt vor einer Dönerbox an der Berliner Mauer, die Nibelungen sind nicht das Herrschergeschlecht am Rhein, sondern eine Motorradgang in Kreuzberg. „Der Hagen ist offensichtlich der einzige, der zwischen Ost und West wechseln darf. Das sind kleine Details, die doch sehr spannend sind“, findet Dr. Sven Friedrich. Denn am Ende entpuppe sich doch alles als Fiktion. Die „Götterdämmerung“ als Abgesang auf den Sozialismus und die sozialistische Idee. Dargestellt wird das durch den augenscheinlichen Reichstag, der, wenn die Hüllen des Gebäudes fallen, in Wahrheit die New Yorker Börse zeigt: „Ein schlagendes Bild“, schwärmt Friedrich, „das ist natürlich hochironisch, dass sich das Symbol unserer parlamentarischen Demokratie am Ende entpuppt als New Yorker Börse. Mit anderen Worten: Auch der deutsche Bundestag ist eigentlich amerikanisches Kapital“, interpretiert er.

Völlig undramatisch stellt Regisseur Castorf jedoch den Schluss der „Götterdämmerung“ dar: „Castorf gibt keine Antwort auf das Ende, er stellt nicht einmal Fragen“, beschreibt Sven Friedrich diesen Ring als „nihilistisch und hoffnungslos“. Die Musik, das Erlösungsmotiv, gehe ins Leere, man sieht im Video den toten Hagen, wie er im Schlauchboot über einen See treibt, „es gibt keine  Konklusio, keine wie auch immer geartete Utopie. Denn die sozialistische Utopie ist ja nach Castorfs Verständnis gescheitert“, führt Friedrich weiter aus. Eine politische Idee, die angetreten war, etwas besser machen zu wollen, ist zusammengebrochen. „Und was bleibt, ist der schillernde Kapitalismus, der Raubtierkapitalismus“, meint er weiter, schränkt aber ein: „Vieles lässt sich interpretieren. Aber es wird ja in der Szene nie im konzeptionellen Kontext plausibilisiert, dass sich daraus dieses oder jenes erschließt. Was ich sage, ist assoziativ. Aber wenn ich Castorf richtig verstanden habe, ist das legitim“, betont Friedrich, sagt aber auch, dass am Ende dieses Rings „eine große Ratlosigkeit zurückbleibt“.

Der Ring und die Gesellschaft

Sven Friedrich erzählt im Gespräch mit festspieleblog.de, wie auffällig es sei, „dass die Bayreuther Ringe in den letzten 40 Jahren immer in besonderer Weise  einen bestimmten gesellschaftspolitischen  Zeitgeist abgebildet haben. Das ist auch kein Zufall.“ Das Richard Wagner Museum habe diese Verbindung 2006 mit einer Ausstellung im Markgräflichen Opernhaus dokumentiert, indem die Bühnenbilder mit Bildern der Zeitgeschichte in einen Kontext gebracht wurden.

Das Ergebnis ist interessant: „Die Ideologie der 70er Jahre, die sich bei Chereau abbildet; der beginnende Entwicklungspessimismus der 80er Jahre mit beginnender Ökobewegung und den Abrüstungsbeschlüssen, die Angst vor dem Atomkrieg, also der Ring im postatomaren Zeitalter bei Harry Kupfer; dann der spaßaufgeladene Ästhetizismus der 90er mit Rosalie mit relativ sinnbefreitem Ästhetizismus. Dann kam die Neureklamation eines politischen Ring bei Flimm in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft gerade massiv entpolitisiert. Es folgte der Dorst-Ring,  der den Mythos hinter dem Alltag beschwört,  die Götter sind unter uns und es gibt eine oberflächliche Realität, die wir wahrnehmen und darunter findet in einer Art Mikrokosmos der Ringmythos statt und begleitet uns. Also ein Symbol für die transzendenten, religiösen, methaphysischen Sehnsüchte, die in unserer rationalisierten Welt nicht mehr bedient werden.“

Was nun vom  Castorf-Rings bleibt, das ist spannend, findet Friedrich, wenngleich „nicht besonders beglückend“. Dies habe aber auch einen durchaus produktiven Aspekt, weit jenseits der ästhetischen Behaglichkeit.

Was darf Kunst?

Kunst dürfe im Prinzip alles, erinnert Sven Friedrich. „Eine Inszenierung kann interpretieren, sie kann illustrieren, sie kann alles, sie darf alles. Und sie muss gar nichts. Das zum Thema Werktreue.“ Werktreue in dem Sinn gibt es nicht, so Friedrich, wer sich auf Werktreue beruft, will eigentlich nur die eigenen Ideen auf der Bühne verwirklicht sehen, es sei  eine „Sehnsucht nach Affirmation der eigenen Klischees“.

Friedrich selbst ist  zurückhaltend mit einem persönlichen subjektiven Urteil über den Castorf-Ring: „Ich versuche, den Blick auf die Ästhetik zu eröffnen, um dem Zuschauer einen ästhetischen Gewinn zu vermitteln. Die Frage ist ja, ist es ästhetischer Gewinn, wenn man sich 14 Stunden lang kultiviert gelangweilt hat oder im Gefühl eines ondulierten Behagens die Oper verlässt, um beim Essen zu sagen: ‚War das wieder ein schöner Abend?‘, fragt Friedrich – und findet eine klare Antwort: „Als Dekor für Lifestile ist das Festspiel, die Oper, zu schade.“

Aufgezeichnet von Regina Ehm-Klier

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