Es ist ja nicht nur der „Ring des Nibelungen“, der bei den Bayreuther Festspielen aufgeführt wird. Neben den vier Ring-Teilen stehen ja noch „Tannhäuser“, „Lohengrin“ und „Der fliegende Holländer“ auf dem Spielplan der Bayreuther Festspiele 2014. Natürlich reden wir auch darüber – „verdienterweise“, wie Dr. Sven Friedrich, Direktor des Richard-Wagner-Museums, im Gespräch mit festspieleblog.de über die Bayreuther Wagner-Werke betont. Hier „Der fliegende Holländer“.
Aufatmen: „Es gibt keine Krokodile, wenig Groteskes.“ Der „Holländer“ in der Regie von Jan Philipp Gloger sei eine Inszenierung, die sich „relativ leicht aus den Bildern heraus erschließt“. Gloger versuche, den „Vormärz-Wagner“ zu aktivieren, indem er ebenfalls die Sinnfrage stellt: In welcher Welt leben wir eigentlich?. Das zeige sich schon „im ersten, sehr, sehr starken Bild“ (Bühnenbild: Christof Hetzer) mit den übergroßen Platinen und Leitungen, die die ansonsten schwarze Bühne dominieren —das Datenmeer. „Im Grunde ein abstrahiertes Bild für unsere computergeprägte, mediengeprägte Welt, in der dieser Daland, Chef der Daland GmbH unterwegs ist. Die Geschäfte scheinen nicht besonders gut zu laufen, denn er braucht Beruhigungsmittel, um überhaupt zur Ruhe zu kommen“, erklärt Friedrich.
Auftritt Holländer (Samuel Youn): Ein „Global-Player“, der als Mensch bereits beginnt, Teil dieser Maschinerie zu werden, was mit den drahtigen Geschwüren am Kopf sichtbar wird. „Er ist offensichtlich schon so mit der Maschine verwachsen, dass er ihr Teil geworden ist – aber total müde“, so Friedrich; der Holländer suche Ruhe aus den Stürmen des Lebens.
„Es ist schon ein schlagendes Bild, wie so ein übernächtigter, Jetlag-peplagter Golbal-Geschäftsmann in irgendeiner Airport-Lounge mit Kaffeebecher und Trolley auftaucht, gar nicht weiß wo er ist, die Frauen, die in umgeben, bedeuten ihm nichts. Genausowenig wie ihm das Kapital noch etwas bedeutet. Er ist auf der Suche nach der wahren Liebe“, fasst Friedrich die Szene zusammen. Beim Zusammentreffen mit Daland (neu in diesem Jahr: Kwangchul Youn) ergebe sich eine klassische Win-Win-Situation: „Der Holländer sieht die Möglichkeit, etwas für seinen Gefühlshaushalt zu tun. Und der Daland sieht die Möglichkeit, mit dem Joint-Venture sein Unternehmen zu sanieren.“
Zweite Szene: Blick in die Spinnstube, die bei Jan Philipp Gloger eine Verpackungshalle ist. „Er brauchte etwas, das sich bewegt, analog zu den Spinnrädern – und da sind Ventilatoren ein schönes Bild, weil die sich drehen, aber nichts produzieren“, so Friedrich.
Senta (Ricarda Merbeth) bleibt abseits, geht ihrer eigenen Beschäftigung nach und bastelt sich ihren Holländer: „Das ist alles sehr werkgetreu adaptiert“, beurteilt Friedrich diese Inszenierung.
Interessant sei die Rolle der Mary (Christa Mayer), die hier nicht die nörgelnde Alte ist, sondern eine eigene Biografie bekommt: „Wie sie am Ende von Sentas Ballade ihre Gefühle findet, die Bluse öffnet, die Haare löst, die Brille abnimmt und plötzlich aussieht wie die ältere Schwester von Senta“, erklärt der Friedrich die Szene, die sich also erschließt: „Aha, deswegen will sie nicht, dass diese Ballade gesungen wird, weil sie die Holländer-Geschichte an ihre eigenen Sehnsüchte erinnert.“
Auch die Figur des Erik sei sehr ernst genommen, findet Friedrich über Glogers Personenbeschreibung. „Erik (Tomislav Muzek) ist nicht nur der Schlappi, der die ganze Zeit nur rumjault, weil er der Verlierer ist. Er ist Outsider, wie Senta auch.“ Als Hausmeister stehe er am unteren Ende der sozialen Skala – „genau wie bei Wagner auch, da ist Erik ein Jäger, ein Außenseiter, weil alle anderen Seeleute sind“. Dieses Außenseiterdasein verbinde Senta und Erik, was am Ende durch ein „schönes, frappierendes Bild“ dargestellt sei: Senta sitzt auf der Bühne, links liegen ihre Engelsflügel – das Symbol für ihre Phantasiewelt als romatischer Traum der Liebe – und rechts liegen die Bilder, die sie gemeinsam mit Erik zeigen. Senta zögert, denn Eriks Fürsorge seien ja eine echte Alternative, sagt Friedrich. Dann aber entscheidet sie sich für den Holländer und eben den Opfertod. Den Schluss findet Friedrich „bitterböse“. Denn der Vorhang fällt nur zunächst vor dem Paar, das gemeinsam auf einer Pappkarton-Pyramide verharrt als „eine Art schaurig-schöne Skulptur der Liebe“. Im letzten Moment fotografiert der Steuermann (Benjamin Bruns) die Szene.
Warum erklärt sich, als der Vorhang wieder aufgeht. Der Steuermann ist PR-Mann der Daland GmbH, die mit einem neuen Produkt den Markt erobert: Kitschige Holländer-und-Senta-Figuren.
Friedrichs Fazit: „Die große Idee von der Liebe ist am Ende doch nur ein kitschiges, banales Verkaufsprodukt geworden, ebenso wie Ventilatoren, die ja am Ende auch nichts produzieren, sondern nur Luft bewegen.“
Friedrich hält täglich um 10.30 Uhr im Festspielhaus (Eingang Straßenseite) regiebezogene Einführungsvorträge.
Ein Interview mit Jan Philipp Gloger zu seiner Sicht auf den „Holländer“ gibt es auf der Homepage der Bayreuther Festspiele, hier http://www.bayreuther-festspiele.de/fsdb/inszenierung/2014/1/14975/index.html
Die musikalische Leitung hat Christian Thielemann.
Eine Besprechung zu „Holländer III“ lesen Sie hier: https://www.festspieleblog.de/2014/08/war-los-bei-hollaender/