Großes Theater mit Musik
Ein Blick zurück auf 2013, das Ring-Premieren-Jahr. Hier ein Auszug der Beiträge aus dem vergangenen Jahr.
Rheingold
Als der Vorhang fällt, lächelt man. Zweieinhalb Stunden ohne Pause zusammen mit 2000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht – und man lächelt. Und wenn man sich umdreht, sieht man weitere lächelnde Menschen, genauso beim Hinausgehen. Das war also „Rheingold“, der Vorabend des mit Spannung erwarteten „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Frank Castorf. Was war das? Auf jeden Fall eine super Show, bei der man sogar die Enge und die Hitze vergaß. Und – die Musik. Das mag das einzige Problem des Abends sein. Kein kleines allerdings. Die zweieinhalb Stunden vergehen im Flug, so viel tut sich auf der Bühne. Die Sänger sind wunderbare Schauspieler. Ja, und sie singen auch ganz prächtig. So kommt es, dass man sich zwischendurch regelrecht zwingen muss, auf die Musik zu hören (am besten Augen schließen, aber dann könnte man ja was verpassen). Dabei ist es feinste Orchestermusik, die der Neu-Bayreuther Dirigent Kirill Petrenko aus dem Graben erklingen lässt.
Walküre
Das muss dann schon die große Liebe sein, wenn man sich das freiwillig antut – eine „Walküre“ sitzt man nicht eben so ab, sondern investiert nahezu sechs Stunden (inklusive zwei einstündiger Pausen). Unter den 2000 im Festspielhaus, die sich genau das nicht nur antun, sondern nachgerade genießen, sind von der großen Öffentlichkeit unbemerkt, Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Mann Prof. Joachim Sauer. Seit der Premiere beschreitet sie keinen roten Teppich mehr, hat keine Fotografen am Hals und muss auch in keine Mikrofone reden. Die Kanzlerin ist hier eine Wagnerianerin wie du und ich und sitzt mittendrin im Publikum.
Die Walküre – sehr konventionell inszeniert. Provokant konventionell. Große Oper vor großer Kulisse: Diesmal ist Baku in Aserbaidschan Ort der Handlung, in Zeiten der ersten Ölförderung um 1850. Die Sänger sind üppig schön ausstaffiert: als aserbaidschanische Prinzessin (Fricka) zum Beispiel und historisch nachempfundenen fürstlichen Gewändern die Walküren. Im Grunde alles sehr schön, sehr harmlos. Für Aufsehen könnte einzig der echte Truthahn im Käfig sorgen. Doch der ist tiergerecht untergebracht und lebt ansonsten, wenn er nicht einen Akt lang entweder erfreut in seinen Körnern pickt, die ihm Sieglinde hinstellt, oder dem Geschehen auf der Bühne interessiert und störungsfrei folgt, auf einem Bauernhof, wo er nach der Vorstellung auch wieder hingebracht wird. Der Skandal des Abends passiert am Ende des zweiten Akts. Catherine Foster, die Brünhilde, wird von einem Teil des „wissenden“ Publikums ausgebuht. Unglaublich. Ein Sänger wird üblicherweise nicht derart abgewatscht. Und wenn, dann am Schluss, nicht nach einem Akt. Doch dieser lauter Teil des Publikums war sauer, weil sie zu leise war, als sie Siegmund die Todesbotschaft überbrachte. Das Pianissimo war der Wunsch von Dirigent Kirill Petrenko. Die Sängerin wird bestraft. Die wiederum zeigt im dritten Akt was sie stimmlich draufhat. Sehr viel nämlich. Damit befriedet sie das Publikum – Riesenjubel am Ende für sie.
Siegfried
Selbstverständlich ging das konservative Geplänkel des Walküren-Sonntags so nicht weiter. Wir wurden wieder Zeuge einer großartigen Show. Das Geschehen auf der Bühne ist witzig, aufwendig, hier eine Leinwand, dort eine Treppe, da leuchtet das Minol-Tankstellen-Schild, dort der U-Bahn-Eingang. Castorf erzählt uns Geschichten ohne Ende und spickt sie mit Details. Und, mein Gott, was muss ein Opernsänger/eine Opernsängerin heutzutage alles leisten. Große Gesten wie Hand aufs Herz und dazu schmachten – das war gestern. Heute wird den Darstellern sportliche Leistung abverlangt. Castorf ist im Bayreuther Ring gnadenlos.
Prächtig ist es wieder, das Bühnenbild von Aleksandar Denic. Im „Siegfried“ passiert im Grunde ja nicht viel. Die Akteure haben viel zu besingen, lange Monologe und Dialoge. Streitgespräche. Es könnte ein langer, ruhiger Fluss sein. Langweilig. Nicht bei Castorf, der ein buntes Spektakel inszeniert, bei dem sogar oft gelacht werden kann. Gaudi bei Wagner? Ja, warum nicht.
Götterdämmerung
Was für ein Sturm des Entsetzens im Festspielhaus! Buhrufe, 5 Minuten lang – mindestens. Frank Castorf, der Regisseur des Rings in Bayreuth, bleibt zusammen mit seinem Team mehr oder weniger unbeeindruckt stehen. Und zeigt irgendwann dem Publikum den Vogel. Die Buhs wollten überhaupt kein Ende nehmen. Das ist also die Quittung für die Regieleistung des „Ring des Nibelungen“ in Bayreuth. Dass die Regie nicht sonderlich gut wegkommen würde, war seit dem ersten Abend bekannt.
Sängerisch kann der Abend nicht mit den drei vorherigen mithalten. Gunther und Hagen sind schlecht zu hören, Gutrune macht ihre Sache sehr anständig, die Rheintöchter brillieren hingegen einmal mehr, sehr intensiv auch die Szene zwischen Waltraute und Brünnhilde.
Die Szenen: Siegfried wird mit dem Baseball-Schläger erschlagen, Brünnhilde reitet nicht ins Feuer, sondern gibt den Rheintöchtern den Ring zurück und geht. Alles sehr unspektakulär. Aber große Szenen verweigert Castorf ohnehin konsequent.
Das wahrhaft Große kommt von unten. Dirigent Kirill Petrenko und das Festspielorchester liefern einfach eine umwerfende Leistung ab. Da hört man gerne hin, zumal bei dieser Musik. Wer ihretwegen gekommen ist, ist bestens bedient. Das Festspielhaus wird fast in seinen Grundfesten erschüttert, so viel Applaus erntet Petrenko, als er vor den Vorhang tritt.
Wenn Castorf provozieren wollte, hat das geklappt. Fast sieht es so aus, als genieße er diesen Sturm.